Der Siebdruck, die Dose und die Stars – Andy Warhol und die Pop (up) Art
Zwischen zwei Buchdeckeln können sich neben einer Unmenge an verschiedener Information und leichter Unterhaltung auch umfangreiche, phantasievoll gestaltete Welten verbergen, die sich nach und nach beim Blättern entfalten.
Wie kürzlich im Münchner Museum Brandhorst in der Ausstellung »Reading Andy Warhol« zu sehen war, nutzte auch der Superstar der Pop Art das Medium Buch mehrfach, er schuf Titelbilder, Illustrationen, aber auch Bücher, die fast schon Multimedia-Objekte sind. Als anschauliches Beispiel dieser überaus kreativen Beschäftigung mit dem Buch sei hier »Andy Warhol’s Index (Book)« vorgestellt, in dem sich gleichsam der ganze Kosmos des Künstlers, inklusive den ikonisch überhöhten Suppendosen, im wahrsten Sinne des Wortes »entfaltet«.
Das »Andy Warhol’s Index (Book)« ist ein Sammelsurium aus (aber-)witzigen Faltobjekten, wie etwa einer leuchtend roten Ziehharmonika, die beim Ausfalten einer Seite aufspringt, einem Papierflugzeug zwischen einer Doppelseite, welche die Arbeit in Warhols Studio, der so genannten Factory, dokumentiert, oder wie die auf einer Feder montierte Scheibe mit Kritikerzitaten zu Warhols Film »The Chelsea Girls«. Dazu kommen Texte, die hauptsächlich auf Tonbandaufnahmen zurückgehen (wie z. B. ein absurdes – mit einem deutschen Journalisten geführtes und daher in Frakturschrift gesetztes – Interview, in dem Warhol nur sporadisch antwortet: »Yeah.« – »I haven’t thought about it yet.« – »I told you, I don’t say much.«). Zum Großteil besteht das Buch aber aus stark kontrastreichen und damit verfremdenden Schwarz-Weiß-Fotografien, auf denen man Warhol selbst, seine Werke, die Arbeit daran, sowie die Mitglieder seiner Factory erkennen kann. In dieses Fotomaterial sind neben den bereits erwähnten Kunstelementen weitere kleine Gags eingestreut: ein zwischen die Seiten geklemmter Luftballon, eine Schallplatte an einem Faden (als »Herausfall«-Objekt gedacht) oder ein riesiges Ritterschloss, das sich beim Blättern aufklappt und dem Betrachter mitteilt »We’re attacked constantly«. Auf der Rückseite der Burg, die als Zitat direkt aus einem Kinderbuch stammen könnte (und es vielleicht auch tut), sind innerhalb der Burgmauern noch einmal ein Selbstporträt, ein Werkfoto und weitere Fotos zu entdecken – die Burg also zugleich als Warhols Factory: We’re attacked constantly!
Die Möglichkeiten, die das Medium Buch bietet, kamen sicher auch Warhols extrovertierter Selbstdarstellung sehr entgegen, was bereits auf den ersten Seiten deutlich wird: hier sieht man ein Porträt, auf das der Künstler die Signatur Albrecht Dürers AD montiert hat. Und schon auf dem holografischen Titelbild, einem in starken Schwarz-Silber-Kontrasten verfremdeten Porträt von Mitgliedern der Factory, thront Warhol vor Brilloschachteln, die man im Hintergrund erkennt, madonnengleich an der Spitze dieser chaotischen wie schöpferischen Produktions- und Lebensgemeinschaft.
Insgesamt und im Detail transportiert die Buchgestaltung von »Andy Warhol’s Index (Book)« den subversiven Spaß und die ungebremste Kreativität der Warholschen Factory. Und wie in einem regulären Index ist wirklich alles zu finden, womit Warhol in Verbindung gebracht wird: der Siebdruck, die Dose und die Stars. Kein kunsthistorischer Text könnte dies so einfach und so schnell anschaulich machen, wie es dieser Bücherschatz macht: Kunstgeschichte zum Aufklappen und Anschauen. Beides sei unbedingt empfohlen!
Anke Schlecht, Institut für moderne Kunst Nürnberg
Als Artikel erschienen in aviso, Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern, Heft 01/2014
Andy Warhol's Index (Book)
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