»Landschaften sind keine Kulissen für historisches Handeln: Sie selbst handeln.«
Anna Lowenhaupt Tsing

Ewig und hart ist der Stein, von Naturgewalten geprägt und geformt. Wer beim Wandern durch die Gebirge dieser Welt auf eine große Felsformation stößt und sie ehrfürchtig bewundert, käme wohl nicht zu allererst auf den Gedanken: »Was, wenn dieses Gestein morgen plötzlich nicht mehr da wäre?« Denn Stein bildet Monde und Klippen, Canyons und Kiesgärten, Mauern, Pyramiden und Brücken. Es ist Baumaterial für Ewiges und ebenso für Ephemeres, wenn das Felsmassiv bis zum Sandkorn verwittert, so archaisch, dass es geradezu Heimat sein muss für jene märchenhaften und mythischen Wesen aus uralten Geschichten und Sagen.

Die Hamburger Künstlerin Jenny Schäfer (*1985) fotografiert Farben, Formen, Materialitäten und Strukturen vielfältiger Gesteinsformationen. Durch ihre hybride Vorgehensweise im Analogen und Digitalen verändern sich Farben und Muster auf fast abstrakte Weise. Die Felsformationen, Detailansichten und Oberflächen erscheinen mal hart und abweisend, mal zart und organisch, gar fragil. In einer Serie kombiniert sie Handabzüge der Gesteinsfotografien mit gefundenen Fotografien und Textfragmenten der Schriftstellerin Lisa Krusche (* 1990).
Das »Dilemma«, das Jenny Schäfer in der Fotografie per se sieht, ist, dass rein dokumentarische Bilder nicht möglich sind. Fotograf*innen stellen immer einen Standpunkt dar, den man mal mehr, mal weniger ausblenden kann. So werden ihre Arbeiten zu einer Art dritten Kategorie – nicht ganz Objekt, nicht ganz Subjekt, und dadurch doch auch beides.

Angerufen wird in der Ausstellung, wie auch im gleichnamigen und zur Ausstellung erschienenen Buch, eine mysteriöse Riesin – Sinnbild des widerständigen Weiblichen, eine Schutzpatronin und Mitstreiterin gegen Verletzungen an Körper und Psyche der menschlichen Schwestern. Gemeinsam mit der Schriftstellerin Lisa Krusche hat Jenny Schäfer sich auf eine innere und äußere Reise begeben, um jene Bilder, die so oft hinter der Realität liegen, ans Licht zu holen.

Hier verbinden sich je drei Elemente zu eigenen Fragestellungen, die auch als Spiegel an die Rezipierenden funktionieren: Wer ist die Riesin? Bin ich es selbst? Welche Fragen habe ich an die Riesin? Welche Fragen stellt sie mir? Wohin kann ich gehen und wohin will ich gehen? Wie weit kann ich schreiten und wie gut kann ich den Horizont sehen? Was kann man erkennen und wer mich?

Jenny Schäfer studierte Bildende Kunst / Fotografie an der HFBK Hamburg und fotografiert seit 2012 Steine, Konsumrealitäten und Alltagsästhetiken. 2021 erhielt Jenny Schäfer das Kunststipendium der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius sowie den Hamburger Literaturpreis. 2023 veröffentlichte sie die Publikation Arbeitstage.

Lisa Krusche lebt in Braunschweig, schreibt für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. 2021 erschienen die Romane Unsere anarchistischen Herzen und Das Universum ist verdammt groß und super mystisch. Für ihre Arbeit wurde Krusche mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Deutschlandfunk-Preis bei den 44. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt (2020), dem Kranichsteiner Kinderliteratur-Stipendium (2022) sowie dem Premio Strega Ragazze e Ragazzi (2023).

Die Ausstellung wird begleitet von der Publikation
Jenny Schäfer und Lisa Krusche: Die Anrufung der Riesin
starfruit publications, Fürth
ISBN 978-3-922895-57-2

Ausstellungseröffnung:
Samstag, 21. September 2024, 18.00 Uhr

Ausstellungsdauer:
22. September bis 1. Dezember 2024

Öffnungszeiten:
Samstag und Sonntag: 14.00 bis 18.00 Uhr
Geschlossen von 26. Oktober bis 3. November 2024

Begleitprogramm:
An zwei Sonntagen, 20. Oktober und 10. November 2024, jeweils von 14.00 bis 18.00 Uhr, ist Silvan Wilms als Live-Speaker in der Ausstellung anwesend und steht für Fragen zur Verfügung.

Zur Finissage am Sonntag, den 1. Dezember 2024, um 16.00 Uhr, findet eine Kuratorenführung statt, im Anschluss liest die Autorin Lisa Krusche aus der oben genannten Publikation. Die Lesung findet statt im Rahmen des Winter Open House im Atelier- und Galeriehaus Defet.

Mit freundlicher Unterstützung der Atelier- und Galeriehaus Marianne und Hans Friedrich Defet Stiftung und der da Vinci Künstlerpinselfabrik Defet GmbH Nürnberg