Seit Mitte der 1990er Jahre arbeitet der in Berlin lebende Reynold Reynolds mit Super-8mm- und 16mm-Filmmaterial als künstlerisches Medium. In dieser Zeit hat der US-amerikanische Experimentalfilmer ein äußerst suggestives visuelles Vokabular entwickelt, mit dem er in immer neuen Variationen Transformations-prozesse wie Zerstörung oder Verfall thematisiert und Albträume evoziert – visuelle Albträume, deren Sog sich der Betrachter so schnell nicht wieder entziehen kann.
Souverän nutzt Reynolds die Möglichkeiten des Films, wobei ihm die Kraft der Bilder und ästhetische Innovation wichtiger sind als narrative Geschlossenheit. Mit dieser Methode erzielt er Ergebnisse von höchster technischer und dramaturgischer Qualität, umso mehr, als er seine Filme mit beschränkten Mitteln, nämlich als eine Art One-Man-Studio, realisiert.
Reynolds atmosphärisch aufgeladenen filmischen Arbeiten basieren auf dem Konzept einer collagehaften, assoziativen Erzählweise, die zugunsten einer metaphorischen Ikonografie auf Dialoge und eine lineare Logik verzichtet. Thematisch kreisen seine Filme häufig um physische und psychische Extremsituationen, um verdrängte Traumata und Ängste, um menschliche Entfremdung, um Isolation und Paranoia. Der Künstler nutzt die innere Spannung, die aus Gegensätzen wie schön und hässlich, komisch und tragisch, Konstruktion und Destruktion entsteht, damit entwickelt er Werke von ungeschliffener emotionaler Kraft, die den Betrachter ebenso faszinieren wie erschrecken.
In »Six Apartments« (2007) gleiten zwei Kameras an der Fassade eines Hauses entlang und dokumentieren im Split-Screen-Verfahren das Leben von sechs Bewohnern. Dabei wird eine Bildhälfte nach der anderen von einem neuen Bildausschnitt überblendet und der Blick mittels alternierender auditiver Fokussierung abwechselnd in das linke und rechte Setting geführt, so dass eine narrative Struktur entsteht. Im ruhigen Gleichstrom der Bilder – als würden die Kameras in einem Paternoster an den Wohnungen vorbeiziehen – lernt der Betrachter die verschiedenen Protagonisten kennen: Sie essen, wandern durchs Zimmer, baden, sehen fern und schlafen. Es hat den Anschein, als ob nichts Außergewöhnliches passiert, die einzelnen Sequenzen zeigen wie Röntgenbilder eine Art gesellschaftlicher und individueller Apathie, vielleicht sogar »Apathie als eine Form der Verneinung« (Reynolds).
Bald jedoch wird die distanzierte Kameraführung durch detaillierte Aufnahmen ersetzt. Langsam kommen wir den in ihren Wohnungen isolierten Menschen näher und entwickeln eine fast schon emotionale Beziehung, die von Unverständnis, Mitleid oder gar Entsetzen geprägt sein kann.
Zurückgezogen in die eigenen vier Wände strahlen die isolierten Bewohner eine dumpfe emotionale Leere aus, der sie mit pathologischen Kompensationshandlungen und durch eine allgegenwärtige Medienberieselung beizukommen suchen. Reaktionslos nehmen sie die Nachrichten aus der Außenwelt mit ihren pessimistischen Zukunftsprognosen von globaler Erwärmung, Krankheiten und schwindenden Ressourcen hin: Der Zuschauer beobachtet parallel, wie sich die Voraussagen über die Erdentwicklung im Mikrokosmos der vorgeführten Heimbiotope prototypisch erfüllen. Bedrohlich nahe rückt der Tod an den Menschen heran, er kann seinem biologischen Determinismus nicht entgehen.
Nach und nach wird klar, dass der Film verschiedene Tage, vielleicht sogar Monate umspannt und wir somit das allmähliche Altern, Sterben und den damit verbundenen Verfall dieser Menschen erleben. Alles unterliegt der Auflösung, immense Dramen spielen sich ab, Chaos obsiegt über Ordnung, Verwesung über Leben, das Kleine zerstört das Große.
In der zweiten gezeigten Arbeit, dem Film »Burn« (2002), sind zunächst eine Frau und ein Mann zu sehen, die – unbeeindruckt von einem Feuer, das langsam ihre Wohnung zerstört – eine Zeitung oder ein Buch lesen. Es findet keine Kommunikation (mehr) statt – vielmehr scheint es ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu geben, das keine Worte mehr braucht oder findet. Nach etwa der Hälfte des Filmes lernen wir die Ursache der Flammen kennen: Eine andere, schlafende Frau wird von ihrem Partner mit Benzin übergossen und angezündet. Surreal ist nicht nur die Handlung, sondern auch die Tatsache, dass die brennenden Menschen vom Feuer allenfalls leicht gestört scheinen. Wie in »Six Apartments« zeigt Reynolds auch hier eine sprachlose, mysteriöse, von Einsamkeit und Gleichgültigkeit geprägte Welt – das Feuer wird zur Metapher für alle zerstörerischen Kräfte, zu einem Menetekel von Bedrohung und Ausweglosigkeit.
»Last Day of the Republic« (2009) schließlich, der dritte in dieser Ausstellung gezeigte Film, dokumentiert den äußerst kontrovers diskutierten und umstrittenen Abriss des 1976 in Ostberlin eröffneten Palasts der Republik – damals Sitz der Volkskammer und ein Wahrzeichen der DDR, heute Symbol und Zeugnis eines untergegangenen Staates.
In Reynolds raffiniert geschnittenem filmischem Abbruch-Ballett sieht man an urzeitliche Echsen erinnernde Kräne und Bagger, die sich unter grotesken Verrenkungen und in fast schon slapstickhafter Geschwindigkeit in die Mauern des einstigen Repräsentationsbaus der DDR fressen.
Damit wirft der Künstler seinen radikalen Blick nicht nur – wie in »Burn« und »Six Apartments« – in die Psyche des Menschen, sondern auch auf einen symbolträchtigen Moment der deutschen Geschichte.
»Last Day of the Republic« ist eine Gemeinschaftsarbeit: So wie der Palast der Republik in Reynolds Film Schicht für Schicht abgetragen wird, gräbt der Lyriker Gerhard Falkner in einem zu diesem Film entstandenen Gedicht (das aus dem Off zu hören ist) in der Vergangenheit. Sein Untergangspoem schlägt den Bogen von der Gegenwart bis in die Antike und stellt mit einprägsamen Bildern die offensichtliche Hilflosigkeit beim Umgang mit der jüngeren deutschen Geschichte bloß:
»Es wird bleiben ein Loch in der Luft, so groß wie ein Schloss.« (Gerhard Falkner)