Rinus Van der Velde : How many steps until the next block?

Atelier- und Galeriehaus Defet Gustav-Adolf-Str. 33, 90439 Nürnberg
Eröffnung: Samstag, 19. Juni 2010, 20.00 Uhr
Ausstellungsdauer: 20. Juni 2010 bis 21. August 2010
Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag 14.00 bis 18.00 Uhr und nach telefonischer Vereinbarung

Der belgische Künstler Rinus Van de Velde entwirft in seinem zeichnerischem Werk eine komplexe Parallelwelt, in der sich Vergangenheit und Gegenwart, Dokumentation und Fiktion, Reproduktion und Rekonstruktion fast untrennbar miteinander verbinden.

Van de Veldes Zeichnungen basieren auf einem reichen Vorrat an fotografischen Bildern, sie beziehen sich auf ein ständig wachsendes persönliches Bildarchiv, für das Van de Velde auf Biografien von Künstlern und Wissenschaftlern ebenso zurückgreift wie auf Zeitschriften und Magazine wie National Geographic und das unendliche visuelle Reservoir des Internets.
Indem der Künstler dieses Bildmaterial in das Medium der Zeichnung überträgt und es außerdem mit kurzen handschriftlichen Texten versieht, entreißt er es seinem ursprünglichen Kontext und stellt es in einen neuen erzählerischen Zusammenhang. Van de Velde zähmt die Flut der Bilder: Er integriert sie in eine neue Ordnung, nämlich in das System seiner eigenen Zeichnungs-Welt.

Eine Zeitlang zog sich die fiktive Figur des Bildhauers William Crowder (1913 – 1979) wie ein roter Faden durch Van de Veldes Arbeit. Um die geheimnisvolle Persönlichkeit Crowders herum entwickelte der Künstler vielfältige Situationen und Geschichten: Der Betrachter tauchte ein in eine von Künstlern, Galeristen, Sammlern und Museumsdirektoren bevölkerte Szenerie, die ihn in ihrer Rätselhaftigkeit dazu aufforderte, die Fäden der angerissenen Dialoge und Erzählungen aufzugreifen und weiterzuspinnen.

Im vergangenen Jahr »trennte« sich Van de Velde von seinem Alter Ego William Crowder und tritt seitdem durch seine Zeichnungen zu verschiedenen historischen Figuren in Kontakt: Etwa dem britischen Entdecker, Afrikaforscher, Übersetzer, Orientalist und Mitglied der Royal Geographical Society, Sir Richard Francis Burton (1821 – 1890), dem der Schriftsteller Ilija Trojanow in seiner 2006 erschienenen biographischen Fiktion »Der Weltensammler« ein literarisches Denkmal gesetzt hat.

Oder dem russischen Dichter und Maler, Futurist und Avantgardist, Agitator und Revolutionär Wladimir Majakowski (1893 – 1930), der wegen seiner politischen Aktivitäten aus der Kunstakademie ausgeschlossen und mehrfach verhaftet wurde, aber unbeirrt Zeit seines Lebens versuchte, eine neue Literatur und eine neue dichterische Sprache zu schaffen, um als Dichter in alle Gesellschaftsbereiche hineinzuwirken.

Was Rinus Van de Velde an Figuren wie Burton oder Majakowski interessiert, ist ihre radikale Intensität, die Besessenheit, mit der sie ihr Ziel verfolgten – darin fühlt er sich ihnen verbunden und so nähert er sich ihnen nicht aus sicherer historischer Distanz, sondern nutzt seine Zeichnungen als eine Art Zeitmaschine, bereist zeichnend Majakowskis Welt, macht ihn zu seinem Zeitgenossen und Gefährten, zum Gegenüber, mit dem er spricht und streitet, dichtet und diskutiert, denkt und debattiert.

»How many steps until the next block?« Das Majakowski-Zitat, das Rinus Van de Velde seiner Präsentation im neuen Ausstellungsraum des Instituts für moderne Kunst vorangestellt hat, kann sowohl auf die Suche des Künstlers bezogen werden als auch auf die des Betrachters, der die riesigen Kohlezeichnungen Van de Veldes abschreitet und versucht, dessen Spiel mit Beziehungen und Bezügen, mit Ideen und Identitäten zu entziffern.

Was ist Realität, was Fiktion, was Imagination? Schließen sich diese Begriffe gegenseitig aus oder bedingen sie einander? Wem glauben wir? Dem Wissenschaftler oder dem Künstler? An was glauben wir? An das, was wir wissen, oder an das, was uns möglich erscheint? Was ist Realität? Das Foto in der Zeitung oder das Bild in unserem Kopf?
Rinus Van de Veldes Arbeiten geben auf diese Fragen keine Antwort, sie stellen sie.
 

Zur Ausstellung liegt die von der Galerie Zink, München/Berlin, herausgegebene Publikation »Rinus Van de Velde« vor, erschienen 2010 im Verlag für moderne Kunst Nürnberg, 144 Seiten mit zahlr. Abb. / 25,-- EUR

Fotos: Uwe Niklas