»Alles, was nicht das Original ist, ist eine Fälschung« – diese Definition zu »falsch« und »richtig« klingt zunächst richtig, ist aber falsch.
Bewusste Fälschungen, exakte und fehlerhafte Kopien, durch das Original inspirierte Nachahmungen oder gekennzeichnete und nicht gekennzeichnete Zitate gibt es in der Kunst ebenso wie in der Literatur – und natürlich auch in den Wissenschaften und allen anderen Lebensbereichen.
Die Einschätzung, ob ein Werk richtig oder falsch ist, ob es sich um ein Original, eine Kopie oder eine Fälschung handelt, hängt stark vom Kontext ab. Das hoch bewertete Original vereint Idee, Technik und Authentizität. In der zeitgenössischen Kunst aber hat sich die Gewichtung mehr und mehr auf die Originalität des Bildkonzepts und dessen innovative Wirkung verschoben. Kurz: Die Idee, der mentale Impuls und der innovative Gestus sind das eigentliche Kunstwerk.
Das falsche Bild wiederum, die echte Fälschung, imitiert das Original bzw. gibt vor, ein Original zu sein. Sei es aus Prestigegründen, wie bei der falschen Rolex am Arm und dem Wunsch nach einem Doktortitel oder aus Profitgier, wie bei den ungezählten »echten« Dali-Grafiken, die seit Jahrzehnten den Kunstmarkt überschwemmen – oder sogar aus beiden Gründen, wie bei der Veröffentlichung der Hitlertagebücher, wo das Bemühen um einen journalistischen Coup in Verbindung mit krimineller Energie der Zeitschrift Stern einen der größten Skandale der neueren Pressegeschichte bescherte. Übrigens verkaufte der Fälscher Konrad Kujau nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis weiterhin Fälschungen, nun allerdings unter seinem eigenen Namen als Originale.
Die Signatur – so sie vorhanden ist – dient häufig als künstlerischer Nachweis und ist daher ein willkommener Ansatzpunkt für Fälscher. Kann ein Bild zum Beispiel Rembrandt, van Gogh oder auch, aktuell durch den großen Kunstfälscherprozess in Köln, Max Pechstein, Heinrich Campendonk oder Max Ernst zugeschrieben werden, steigt sein Wert sofort in astronomische Höhen (und das Interesse des Besitzers an der kritischen Prüfung der Echtheit seines Kunstwerks sinkt gegen Null). Marcel Duchamp persiflierte die starke Orientierung an der Signatur des Künstlers, indem er allein durch seine Signatur ein Objekt zur Kunst erklärte. Auch gibt es in der Kunstgeschichte immer wieder Beispiele, wo ein Kunstwerk von Dritten angefertigt wurde und der eigentliche Künstler das Bild nur noch signierte und damit autorisierte (angefangen von Cranach und seiner Werkstatt bis hin zu Kippenberger, der einen Plakatmaler Großformate malen ließ, die unlängst bei Christie’s für zwei Mio. Pfund versteigert wurden).
Das Zitieren von Gestaltungselementen aus Kunstwerken ist in der Kunstgeschichte keine Seltenheit. Das bewunderte Meisterwerk wird kopiert, adaptiert, nachgestellt oder als Inspirationsquelle verwendet. Allerdings erfüllt ein Zitat seinen Zweck nur, wenn es als solches auch erkannt werden kann. Das »Klonen« von Bildern ist in der zeitgenössischen Kunst ein mögliches künstlerisches Mittel. In der sogenannten »Appropriation Art« wird die Kopie zum selbständigen Werk, wie zum Beispiel bei Cindy Sherman, die in ihrer Fotografie-Serie »History Portraits« Alte Meister imitierte, oder Richard Pettibon, der seine abgemalten Wahrhol-Drucke auch mit »Warhol« signierte. Die bewusste Aneignung eines Kunstwerks geschieht hier aber nicht mit dem Willen zu täuschen, sondern in Auseinandersetzung mit dem Vorbild (sei es aus Verehrung, in kritischer Reflektion oder als Kommentar zur Originalitätssucht und zur Frage nach der Bedeutung von Autorschaft). Die Kopie eines Originals kann also in voller Absicht geschehen, um durch diesen Akt der Re-produktion ein neues Kunstwerk – also wieder ein Original – zu erschaffen. Dafür wurden Künstler sogar verklagt, wie Elaine Sturtevant von der Künstlerwitwe Eva Beuys wegen der nichtautorisierten Nachahmung des berühmten Fettstuhls von Joseph Beuys.
Heute, in Zeiten der digitalen Bildbearbeitung, darf (sowieso) keinem Bild mehr getraut werden. Die Manipulation von Bildern reicht von Veränderungen an Zeitdokumenten, wenn politisch nicht genehme Personen im stalinistischen Russland aus Aufnahmen entfernt wurden, über wegretouchierte körperliche Makel bzw. hinretouchierte körperliche Vorzüge bei Prominenten bis hin zu weichgezeichneten Hochzeitsbildern.
Was also ist ein »Original«?
Richtig oder falsch hängt stets vom Kontext ab – vom »Wie« der Entstehung, vom Wollen des Künstlers, sicher auch von der Moral des Urhebers bzw. Verkäufers und von der Wahrnehmung bzw. dem Wissen des Betrachters.
Eine Fälschung ist eine Fälschung, wenn man sie für richtig hält. Oder: Eine offen gelegte Täuschung kann eine Fälschung zum Original machen, also richtig – sie ist dann zwar nicht mehr das Original, aber ein Original.
Anke Schlecht
Fehler, Fake und Fälschung in der Kunst
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